Hannelore Kraft soll am Mittwoch zur ersten Ministerpräsidentin des Landes NRW gewählt werden.
Redakteur Thomas Schmitt sprach vorab mit dem heimischen SPD-Bundestagsabgeordneten Michael Mike Groschek (53), der als Generalsekretär der Partei in den vergangenen zwei Monaten einen wohl beispiellosen Gesprächs- und Verhandlungsmarathon absolvierte.
Worauf freuen Sie sich mehr: auf das Regieren oder auf Ihren Sommerurlaub?
Für mich persönlich wird der Montagvormittag eine Genugtuung sein. Dann werde ich zu den sieben SPD-Leuten gehören, die den Koalitionsvertrag unterzeichnen. Damit endet die sehr erfolgreiche Aufarbeitung der Niederlage von 2005, die mich persönlich getroffen hat und für die ich mich mitverantwortlich fühlte.
Welche Fehler darf die SPD nicht wiederholen?
Wir müssen deutlich machen, dass das Angebot, eine Koalition der Einladung zu sein, ernst gemeint ist. Es ist eine Einladung an die übrigen drei Fraktionen, sich nicht als Opposition der beleidigten Leberwürste aufzustellen, sondern mitzumachen statt mieszumachen. Und es ist eine Einladung an die Bürgerinnen und Bürger, mehr als bislang aktiv die Zukunft des Landes mit zu gestalten. Dann bieten sich uns in NRW in den nächsten zehn Jahren riesige Chancen.
Volksentscheide sollen künftig leichter möglich sein. Bei welchem Thema in Oberhausen wäre denn ein Bürgervotum angebracht?
Schon als Fraktionsvorsitzender im Rat habe ich initiiert, dass der Rat seine Bürger fragt, wie ein Verkehrsleitplan aussehen soll. Es sollte nicht sein, dass einige wenige im Rat eine Kriegserklärung gegen das Auto zelebrieren, sondern die Bürger sollten die Maßstäbe setzen. Ich glaube, dass Parlamente dadurch stärker werden und nicht schwächer. Volksbefragungen sind keine Majestätsbeleidigung, sondern Ratschläge, die man annehmen sollte.
Mit allen Konsequenzen?
Ja, wir müssen ein neues Verhältnis von Partnerschaft definieren. Quoren zu senken, ist das eine. Initiativen müssen sich andererseits aber auch ihrer Verantwortung bewusst sein und sich nicht verabschieden, wenn es um die Umsetzung geht.
Zum Beispiel Freibäder selbst betreiben.
Das ist ein Beispiel. Jedenfalls darf der Rat nicht im Regen stehen, wenn es um die finanziellen Folgen der Beschlüsse geht. Auch beim Kürzen und Knapsen gilt dann das Prinzip der gemeinsamen Verantwortung.
Wäre Politik dann leichter?
Ja, wenn Politiker schlau genug sind, das als Chance zu begreifen.
Wie wird unsere Stadt von der neuen rot-grünen Landesregierung profitieren?
Oberhausen wird unmittelbar vom Stärkungspakt Stadtfinanzen profitieren. Wir werden einen Entschuldungsfonds in den Landtag einbringen, um Zins und Tilgung der Ärmsten der Armen zu übernehmen, um Luft zu schaffen für die Konsolidierung der Finanzen. Die Lasten für den Aufbau Ost werden gerechter verteilt. Außerdem wird mehr Verteilungsgerechtigkeit zwischen armen und reichen Städten über das Gemeindefinanzierungsgesetz hergestellt.
Werden Sie Städten ihren Eigenanteil bei Förderprogrammen erlassen?
Arme Städte sollen wieder teilhaben, aber hundertprozentige Förderungen sind unvernünftig. Sie regen nicht zum Nachdenken, sondern nur zum Ausgeben an. Intelligente Wege sind gefragt.
Wird das heimische Handwerk von öffentlichen Aufträgen profitieren?
Ja, Voraussetzung ist, dass die Tariftreue beachtet wird. Kreishandwerksmeister Jörg Bischoff hat an unserem Konzept für die Mittelstandspolitik mitgearbeitet. Wir wollen die Fachhochschulen für Gesellen und Meister ohne Abitur öffnen. Wir werden die Stadtwerke stärken und die Sparkassen sichern. Gestärkte Stadtwerke sind in der Lage, aktive Partner des Handwerks zu sein und sie können über eigene Investitionen in den heimischen Markt hineinwirken. Sparkassen müssen gemeinsam mit der NRW-Bank der Kreditklemme entgegenwirken.
In der Energiepolitik setzt Rot-Grün verstärkt auf Erneuerbare Energien und Kraft-Wärme-Kopplung. Was bedeutet das für die EVO?
Die Energieversorgung Oberhausen könnte als Vorreiter des Fernwärme-Ausbaus zu den Gewinnern zählen. Wir werden den weiteren Ausbau des Netzes finanziell unterstützen, auch davon wird das örtliche Handwerk profitieren.
Sie wollen mindestens eine Milliarde Euro zusätzlich ausgeben. Wo soll das Geld herkommen?
Wir werden Sparvorschläge machen. Zum Beispiel werden wir mit den Symbolen der politischen Inszenierung Schluss machen. Es wird keine Zukunftsforen oder -kongresse mehr geben, die der Inszenierung des Ministerpräsidenten dienen.
Dafür hat Rüttgers aber bestimmt keine Milliarde Euro ausgegeben.
Der Finanzminister, der immer als ehrbarer Kaufmann gelten wollte, hat einen Rekordschuldenberg hinterlassen; trotz Steuereinnahmen in Rekordhöhe. Wir müssen sogar einen Nachtragshaushalt einbringen, weil viele Ausgaben im Haushalt gar nicht abgedeckt sind. Das gilt für die völlig unterfinanzierte Risikovorsorge der West-LB ebenso wie für Lehrerstellen. Es wird spannende Diskussionen im Landtag geben, die deutlich machen werden, dass Buchführung und Finanzgebahren der alten Landesregierung wenig solide waren.
Unterm Strich machen Sie erst einmal neue Schulden. Wie verträgt sich das mit der gesetzlich verankerten Schuldenbremse?
Jetzt geht es erst einmal um den Kassensturz. Um das Ehrlichmachen des Haushaltes. Gefordert bleibt aber auch der Bund, der sich bei den Soziallasten zu weit herausgezogen hat und das Prinzip der Konnexität missachtet: Wer bestellt, der soll bezahlen. Spätestens nach der nächsten Bundestagswahl muss die Unterfinanzierung des Staates aufgehoben werden, das werden wir im Wahlkampf deutlich machen. Wir benötigen Steuergerechtigkeit und keine Steuergeschenke. Spitzenverdiener müssen solidarisch herangezogen werden. Das lässt die jetzige Bundesregierung völlig außer Acht.
Wie lange wird der Zauber des vermeintlichen Wahlsieges andauern, der doch nur in eine Minderheitsregierung mündet?
Zauberer sind Eintagsfliegen, das sieht man im Bund. Es geht nicht um Zauberei, es geht um harte Arbeit und nicht um Selbstinszenierung. Der Verzicht darauf ist eine der Stärken Hannelore Krafts.
Wie bewerten Sie die Neuaufstellung in der CDU-Landtagsfraktion?
Mit Karl-Josef Laumann komme ich persönlich gut klar, wir können jederzeit ein Bier oder auch mehrere trinken. Politisch stellt sich die Frage, ob das ein Aufbruchsignal ist. Das muss die CDU selbst beantworten. Schon in den Sondierungsgesprächen haben wir stets nach ihrem Markenkern gefragt, da gab es aber eher Fragezeichen als Antworten. Die CDU sollte sich vielleicht einmal anschauen, wie sich die SPD nach der Niederlage 2005 erneuert hat.
Sie haben hinter den Kulissen hart daran gearbeitet, dass es nach der Kommunalwahl vor Ort ein rot-grünes statt ein rot-gelbes Bündnis gab. Mit Rot-Grün im Land ist Ihre Rechnung aufgegangen.
Ja, jetzt gilt endlich wieder: Stadt und Land Hand in Hand.
Welche strategischen Aufgaben warten als nächstes auf den Generalsekretär?
Ich werde der Frage nachgehen: Wie sieht die Volkspartei der Zukunft aus? Wie können wir Wähler binden, wie Hochburgen halten und wie können wir Menschen in unsere Arbeit einbinden? Auch Leute ohne Parteibuch. Die Unkultur des Einmauerns muss weg. Wer in der Wagenburg sitzt, merkt nicht, dass er im Kreis fährt.
Und was ist mit Urlaub?
Der Termin steht noch nicht fest. Aber das Ziel: Meine Frau hat sich durchgesetzt, sie möchte gern die Gegend um Berlin kennenlernen, vom Spreewald bis Meck-Pom.